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#Nachhaltigkeit

Kampf der Verschwendung

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Tags: RenewableEnergy, Effizienz, NullEmissionen
Mit einem kleineren, aber äußerst effektiven Projekt sorgten Mitarbeiter im indischen Chennai für eine nachhaltige Wasserversorgung ihres Werks. Ein Beispiel dafür, dass ressourcenschonendes Wirtschaften auch im Kleinen sehr erfolgreich sein kann.
Christine Kordt, 30. April 2019
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Christine Kordt Mobilität mit all ihren Facetten liegt der Kölner Journalistin seit mehr als 20 Jahren am Herzen. Privat bewegt sie sich am liebsten zu Fuß durch die Landschaft.
Als einer der beiden werkeignen Brunnen versiegte, gingen die Verantwortlichen bei der Somic ZF Components in Chennai aus dem Wettlauf gegen die Zeit siegreich hervor. Sie hatten an ihrem ostindischen Standort bereits vorgesorgt und die Wasserversorgung durch Umbau der Prozesskette gesichert. Somic ZF Components, ein Joint Venture zwischen ZF und dem japanischen Unternehmen Somic Ishikawa, produziert hier mit knapp 400 Mitarbeitern Fahrwerkkomponenten wie Kugelgelenke, Querlenker oder Spurstangen. Wie viele andere Unternehmen in der Region deckt auch Somic ZF Components seinen Wasserbedarf mit Grundwasser. Die Wirtschaft boomt, die Bevölkerung wächst – und der Grundwasserspiegel sinkt.

Nicht auf andere warten – selbst aktiv werden

Nicht auf andere warten – selbst aktiv werden

Doch anstatt auf eine große staatliche Lösung zu warten, beschlossen die Verantwortlichen im Werk Chennai, selbst aktiv zu werden. Einer von ihnen: Murali V. Manager für Wartung und Instandhaltung. Hauptziel war es, Wasser intelligenter als bisher einzusetzen, um den eigenen Verbrauch zu senken. Für Murali V. der einzig sinnvolle Ansatz, denn:
„Vor allem im Sommer war es bei uns dramatisch. Am vorhandenen Grundwasser können wir nichts verändern, nur bei uns selbst.“ Diese Erkenntnis war der Ausgangspunkt zum Start der außergewöhnlichen Initiative „Erhalt des Grundwassers“ zu Beginn des Jahres 2018.
Bis dahin förderte das Werk sein Brauchwasser aus Bohrlöchern und speicherte es in einem Tank. Ein Teil dieses Wassers diente zum Händewaschen und zur Toilettenspülung. Danach floss es direkt in die Kläranlage. Die werkeigene Umkehrosmose-Anlage bereitete einen weiteren Teil des im Tank gespeicherten Grundwassers zu Trinkwasser auf. Bei der Umkehrosmose lässt eine Membran nur Wassermoleküle passieren, während sie gelöste Stoffe zurückhält. Bei diesem Verfahren entsteht Abwasser, das direkt in die Kläranlage floss. Jeden Tag verbrauchte das Werk so rund 37 Kubikmeter Wasser und 80 Kilowattstunden Strom für Aufbereitung und Kläranlage.

Nachhaltige Wassergewinnung

Nachhaltige Wassergewinnung

Im Januar 2018 beschlossen die Mitarbeiter in Chennai, den im ZF-Konzern verankerten Nachhaltigkeitsanspruch in die Tat umzusetzen. In nur dreieinhalb Monaten entwickelte ein Team mit Mitgliedern aus Instandhaltung, Elektrik, Mechanik, Personal und Change Management eine vergleichsweise einfache, aber durchdachte Lösung. Diese Lösung stimmte das Projektteam mit den verschiedenen Anforderungen aus den Abteilungen hinsichtlich der benötigten Wassermengen ab und beauftragte Lieferanten. Von Mitte März bis Mitte April integrierten die Beschäftigten von Somic-ZF-Components ihre Ideen in die vorhandene Aufbereitungsanlage und betrieben sie anschließend mit einem verbesserten Prozess. Zufrieden resümiert Projektleiter Murali V.: „Es lief reibungslos; wir sind froh, dass wir alles in Eigenregie aufbauen konnten.“
Was hat das Projektteam verändert? Heute wird das geförderte Grundwasser komplett per Umkehrosmose aufbereitet. Bei diesem Prozess entstehen weiterhin Trinkwasser und Abwasser. Dieses Abwasser wird nun jedoch in einem Tank zwischengelagert; es dient zum Händewaschen und für die Toilettenspülung. Erst danach gelangt es in die Kläranlage. Statt wie bisher das Wasser am Ende des Klärprozesses in Flüsse einzuleiten oder im Boden versickern zu lassen, dient es nun zur Bewässerung, etwa von Bäumen, die das Projektteam als kleine Allee angepflanzt hat. Die Bäume spenden Schatten und sorgen für ein Wohlfühlatmosphäre.

Wasserverbrauch, CO₂-Emissionen und Kosten sanken deutlich

Wasserverbrauch, CO₂-Emissionen und Kosten sanken deutlich

Fazit, acht Monate nach der Umstellung: Der Grundwasserverbrauch im Werk sank um 46 Prozent auf 20 Kubikmeter täglich, was auch die Kläranlage merklich entlastet. Die dort zu reinigende Wassermenge sank um 40 Prozent von 25 Kubikmeter auf 15 Kubikmeter. Ebenso erfreulich ist die Energieersparnis und die damit verbundene Reduktion von CO₂-Emissionen um rund 30 Prozent, weil weniger Strom für den Betrieb der Bohrloch-Pumpen und der Kläranlage verbraucht wird. In der Folge sanken auch auch die Energiekosten – ein willkommener Nebeneffekt. „Wasser ist bei uns nicht bloß ein Kostenfaktor, es ist ein wertvolles Gut, das immer knapper wird. Indem wir sorgsam damit umgehen, helfen wir doppelt: den Menschen in der Region, die auch auf das Grundwasser zurückgreifen, und uns Beschäftigten, weil sich die hygienischen Bedingungen konstant verbessern. Darauf sind wir stolz“, sagt Murali V.
Wasseraufbereitungsanlage im Werk Chennai

46 Prozent
weniger Grundwasser als bisher verbraucht das indische Werk Chennai täglich durch sein durchdachtes Wassermanagement.

Projekt hat bereits den ersten Nachahmer gefunden

Projekt hat bereits den ersten Nachahmer gefunden

Der erfolgreiche Umbau der Wasserversorgung im Werk Chennai dient inzwischen als Blaupause für den zweiten Standort von Somic ZF Components in Gurugram, einer Großstadt rund 30 Kilometer entfernt von Neu-Delhi. Im Werk Chennai geben sich die Mitarbeiter indes mit dem Erreichten nicht zufrieden. Derzeit arbeiten sie daran, den Energieverbrauch um weitere 15 Prozent zu senken. Anschließend wollen sie ihr Augenmerk auf den Müll richten. „Wir betrachten alle Stoffe als Ressource – für uns gibt es keinen Abfall“, so das Verständnis von Murali V. und seinen Kollegen.

Hintergrundinformation zur Wasser-Situation in Chennai

Hintergrundinformation zur Wasser-Situation in Chennai

„Chennai in der Wasserkrise “ titelte im Dezember 2018 die indische Tageszeitung „The Hindu“. Seit drei Jahren in Folge leidet die 10-Millionen-Metropole am Golf von Bengalen unter Wasserknappheit – unter anderem, weil die Monsunregenfälle nicht ausreichten, die Grundwasservorräte und oberirdischen Wasserreservoirs aufzufüllen. Ein Problem, von dem ganz Indien betroffen ist. Nach Angaben der Stadtverwaltung von Chennai benötigt die Metropole täglich 800 Millionen Liter Wasser, kann diesen Bedarf jedoch nicht decken. Um die Versorgungslücke zu schließen, sind täglich mehr als 4.000 private Tankwagen im Einsatz. In ländlichen Regionen füllen sie ihre Tanks mit Grundwasser zu niedrigen Preisen und verkaufen ihre Ladung in Städten wie Chennai teuer weiter, zitiert die Thomson Reuters Foundation einen Experten. So verschärfen die Wasser-Laster das Problem der sinkenden Grundwasserspiegel dort, wo es aktuell noch nicht so drückend ist.